Chronicles of Darkness (1/4)

Chronicles of Darkness
von Onyx Path Publishing

Im Jahre 1991 brachte der Verlag White Wolf Gaming Studio unter Leitung des Autors Mark Rein*Hagen Vampire: the Masquerade, das erste Spiel der späteren World of Darkness, heraus. Es handelte sich dabei um ein Horrorspiel, in dem die Spieler die Rolle von neu geschaffenen Vampiren übernehmen, die versuchen, einen Platz in der gefährlichen, intriganten Gesellschaft der Vampire zu finden, umgeben von jahrhundert- oder jahrtausendalten Wesen mit rätselhaften Zielen, und die ganze Zeit mit dem Bewusstsein, dass wohl mit dem Herannahen des Jahres 2000 das Ende der Welt nahe ist. Aufbauend auf dem Erfolg von V:tM baute White Wolf die Reihe aus und schrieb zusätzliche Bücher mit Werwölfen (Werewolf: the Apocalypse), Zauberern (Mage: the Ascension) und diversen anderen Monstern, Horrorwesen und Halbmenschen, die sich im düsteren Urban Fantasy-Setting der Welt der Dunkelheit umhertrieben.

Als im Jahr 2004 dann endlich mit dem Band Time of Judgment das Ende der Welt und des Metaplots, der sich mehr oder weniger gut durch alle Spiellinien zog, gekommen war, beendete White Wolf die (von nun an so genannte „klassische“) Welt der Dunkelheit und begann damit, eine New World of Darkness zu veröffentlichen. Dieses neue Spiel bestand aus Neuinterpretationen der Monster der Originalserie, strich den weltumspannenden Metaplot und holte den Horror auf eine persönlichere Ebene herunter – und gab den Spielern eine neue, verbesserte Edition des Regelwerks.

Ein paar Jahre später war White Wolf der erste große Rollenspielverlag, der komplett auf Onlinepublikation und Print on Demand umstieg und aufhörte, seine Spiele standardmäßig im Totbaumformat zu drucken. Ich bin ein großer Fan von ihrer Zusammenarbeit mit DrivethruRPG und der Qualität von Drivethrus Print on Demand-Büchern, weswegen ich diese Seite auch öfter verlinke. Im Jahr 2011 gründete Richard Thomas, der Creative Director von White Wolf, Onyx Path Publishing, das einen großen Teil der Rollenspielrechte aller Serien von White Wolf lizensierte und einige von ihnen direkt erwarb, während White Wolf nur noch die alternativen Vermarktungen des Settings (MMO, Fernsehserien, etc.) betrieb, woraus allerdings nicht viel wurde. Onyx Path veröffentlichte weiterhin vor allem die Neue Welt der Dunkelheit, konnten aber dank der günstigen Onlinepublikation auch die Klassische Welt der Dunkelheit wieder auflegen und sogar neues Material für sie schreiben.

2015 kaufte Paradox Interactive (das sind die von unter anderem Stellaris und Europa Universalis) White Wolf und alle Rechte an beiden Welten der Dunkelheit, allerdings haben sie nur Interesse daran, die Zeitlinie der Klassischen Welt der Dunkelheit nach dem Ende der Welt weiterzuführen und auf verschiedene Weisen crossmedial zu vermarkten, weshalb Onyx Path weiterhin die Neue Welt der Dunkelheit verlegt – allerdings unter dem Namen Chronicles of Darkness, da sich Paradox (bzw. White Wolf als Teil der Firma) mit ihrer Variante als einzige („echte“) World of Darkness auf dem Markt positionieren wollen.

Ich persönlich empfinde die CofD als deutlich besseres Spiel, sowohl was Regeln als auch Hintergrund angeht, weswegen ich die Spiele dieser Serie besprechen werde. Die meisten Spiele sind bereits in einer zweiten Edition veröffentlicht oder kommen bald in einer solchen, während die neusten Spiele von Anfang an mit dem Regelwerk der zweiten Edition geschrieben wurden.

Möglicherweise werde ich auch eines Tages ein Review zur World of Darkness von Paradox schreiben (die fünfte Edition, nach aktueller Zählung), allerdings muss ich jetzt schon sagen, dass die Teaser und Vorschauen sowohl in Bezug auf Hintergrund als auch in Bezug auf Spielmechanismen nicht sonderlich vielversprechend aussehen, zumindest nicht für mich. Während der Hintergrund in einigen Bereichen schmerzhaft ernst ein 90er-Jahre-Feeling aufkommen lassen will und geradezu brutal rausschreit, wie düster und tiefgründig und erwachsen und kontrovers er doch ist, scheint das Regelwerk zur Zeit mit dem Haufen zu laufen und nichts wirklich Besonderes zu sein.

Im Deutschen werden derzeit keine der beiden Welten der Dunkelheit veröffentlicht. Feder & Schwert haben sich anfangs an die Neue Welt der Dunkelheit rangetraut, waren aber – da White Wolf sehr schnell Vampire, Werewolf und Mage inklusive Bonusmaterial auf den Markt gebracht hat – wohl mit der schieren Masse an Übersetzungsarbeit überfordert und sind hoffnungslos in Verzug gekommen und gaben dann auf. Seitdem sie die Lizenz zurückgegeben haben, gab es keine Deutschübersetzung mehr.

Der Chronik-Baukasten

Die Chronicles of Darkness sind ein Baukastensystem: die allgemeinen Bücher sowie die der verschiedenen Serien stellen einen Riesenhaufen Regeln und Hintergründe zur Verfügung und die Spielgruppe kann sich dann raussuchen, was sie verwenden will.

Die Regeln sind so aufgebaut, dass das Grundregelwerk das Spiel von normalen Menschen in einer Welt mit übernatürlichen Wesen ermöglicht (im Stil von Akte X, Supernatural …), während die einzelnen Spielserien thematisch auf eine übernatürliche „Spezies“ fokussiert sind und die Zusatzregeln dieser Wesen auf den Regeln des Grundspiels aufbauen, was dementsprechend dazu führt, dass alle Spielserien miteinander kompatibel sind und Spielleiter und Spieler sich Regeln, Monster oder Antagonisten aus den anderen Serien „ausleihen“ können.

Der Hintergrund ist ähnlich kompatibel, allerdings explizit nicht allumfassend und einen Metaplot gibt es schon gar nicht. Sowohl das Basisspiel als auch die anderen Serien bestehen aus Dutzenden von Plothooks und Möglichkeiten und es liegt am Spielleiter und der Gruppe, welche von dieses sie wahrnehmen wollen und als in der Chronik dieser Gruppe als „wahr“ definieren. Ein Beispiel: in der Vampire: the Requiem-Kampagne, in der der Spielleiter einen NSC-Magier auftaucht lassen möchte, kann ihn entweder als Okkultist nach Grundregelwerk, etwas mächtigeren und umfangreicheren Hexer nach Hunter: the Vigil oder mit dem kompletten Regeln nach Mage: the Awakening spielen, je nachdem, wie es im am besten in den Kram passt – und welchen Hintergrund er zu diesen Regeln dazu nimmt, ist auch völlig ihm überlassen.
Zusätzlich hat jede Serie ein (vollkommen optionales) Hauptproblem, das von den Spielern konfrontiert werden kann, wenn sie wollen, und das etwas genauer beschrieben ist, aber kein direkter Metaplot ist. Die Vampire haben die Strix und die Werwölfe die Idigam (monströse Gegner spezifisch für die jeweilige Spezies), die Magier haben die Gefallene Welt und die Prometheaner die Feuerstürme (Umstände, die die Existenz dieser Spezies erschweren aber nicht direkt bekämpft werden können) und so weiter.

Obwohl die Chronicles of Darkness theoretisch Crossoverpotential besitzen, sind sie normalerweise nicht sonderlich crossoverfreundlich. Die unterschiedlichen übernatürlichen Spezies haben unterschiedliche Probleme und thematische Foki (Werwölfe interessieren sich kein bisschen für die politischen Intrigen von Vampiren), unterschiedliche Lebensweisen (ein Vampir kann in einer Wechselbalgkampagne ein Riesenproblem werden, wenn er tagsüber einfach nicht spielbar ist) und sind vor allem nicht gleich „mächtig“ (mit genügend Planung kann eine Magiergruppe so ziemlich jede andere Spezies überflügeln).
Das bezieht sich allerdings, wie oben bereits beschrieben, hauptsächlich auf gemischte Gruppen von Spielercharakteren und ist weniger ein Problem für Gruppen aus einer Spezies: Vampire interessieren sich zwar für Vampirthemen in ihren Vampirkampagnen, aber wenn sie dabei für ein oder zwei Szenarios mit Magier- und Werwolf-NSCs in Kontakt kommen, ist das kein Problem, sondern kann dienen, die Welt der Dunkelheit als größer und mysteriöser erscheinen zu lassen.

 


Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..